Mittwoch, 16. Februar 2022

15. Pseudomonas aeruginosa u.a.- Wirksamkeitsprüfung chemischer Desinfektionsmittel

https://core.ac.uk/download/pdf/304114767.pdf 

Untersuchungen zur wirksamen Desinfektion von bedeutenden gegen Antibiotika multiresistenten Erregern (MRE) in der Human- und Veterinärmedizin 

Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doctor medicinae veterinariae (Dr. med. vet.) durch die Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig

eingereicht von Anne Theresa Köhler aus Dresden Leipzig, 2020

2.2 Wirksamkeitsprüfung chemischer Desinfektionsmittel

 2.2.1 Allgemeines 

Standardisierte und praxisorientierte DM-Prüfungen haben den Zweck, die Wirksamkeit von Bioziden festzustellen und daraus abgeleitet Anwendungsempfehlungen auszusprechen. Es werden Menge, Art, Konzentration und Einwirkzeit gegenüber Testorganismen determiniert. Werden die Anforderungen für ein spezifisches Anwendungsgebiet erfüllt, gilt die Effizienz als bestätigt.

Auf europäischer Ebene werden Standardprüfverfahren für DM durch die Normierungsinstitution Comité Européen de Normalisation (CEN) verabschiedet. Durch die Arbeitsgruppe des CEN/TC 216 werden einheitliche Normen erarbeitet, welche eine phasenweise Wirksamkeitsprüfung bestehend aus Suspensionsversuchen in vitro und praxisnahen Versuchen vorsehen (HOLAH 2003). Daraus können auf nationaler Ebene harmonisierte Normen in Arbeitsausschüssen erarbeitet werden (DIN-EN). Gemäß CEN beginnt Phase 1 der DM-Testung mit dem qualitativen Suspensionstest. Dieser stellt einen Basistest dar, welcher allgemein bestätigt, dass ein Produkt eine bakterizide Wirkung hat, ohne dabei auf den späteren Einsatzbereich einzugehen. In Phase 2 werden DM für den jeweiligen Einsatzbereich geprüft. Somit ist eine Aussage über die praktische Dienlichkeit möglich. Diese Phase wird in zwei Stufen unterteilt. In Phase 2/Stufe 1 werden der quantitative Suspensionstest unter Einwirkung organischer Belastung durchgeführt und die bakterizide Konzentration bei unterschiedlichen Einwirkzeiten ermittelt. Diese Standardmethode entspricht der europäischen Norm EN 13727 (ANON. 2015b). Sie simuliert praktische Bedingungen durch den Einfluss von Proteinen und weist eine Inaktivierung von Bakterien in Suspensionen nach. Phase 2/Stufe 2 sieht den quantitativen Keimträgertest vor, welcher Rückschlüsse auf die Praxistauglichkeit eines DM zulässt (EN 13697, ANON. 2015a). Auf einer Oberfläche angetrocknete Mikroorganismen werden für eine definierte Expositionszeit unter Einfluss organischen Materials mit DM überschichtet. Phase 3 beinhaltet Feldversuche für verschiedene Anwendungsbereiche, die sich an die in vitro-Tests anschließen (GEBEL und CARTER 2016, HOLAH 2003). 

2.2.2 VAH-Richtlinie 

Der VAH ist ein Fachgremium, welches sich mit Hygienefragen und Infektionsprävention beschäftigt. Die Desinfektionsmittelkommission des VAH veröffentlicht Verfahren zur Validierung der Eignung von DM sowie für deren Zertifizierung. In den „Anforderungen und Methoden zur VAH-Zertifizierung chemischer Desinfektionsverfahren“ werden Standardverfahren zur Hände-, Haut-, Flächen,- Instrumenten- und Wäschedesinfektion definiert (ANON. 2015c). Die Prüfmethoden enthalten Anweisungen für die Stammhaltung der Testorganismen, Herstellung der Medien und DM-Lösungen sowie die Versuchsanordnungen. Die Referenzstämme für die Prüfung sind vorgegeben. Die VAH-Methoden stellen im Vergleich zu europäischen Vorgaben gleichwertige bzw. höhere Ansprüche an den Wirksamkeitsnachweis (ANON. 2016). Für die Zertifizierung von Bioziden für den Anwendungsbereich Oberflächendesinfektion sind die MHK-Bestimmung im Reihenverdünnungstest sowie der qualitative Suspensionstest optional durchzuführen, währenddessen es sich beim quantitativen Suspensionstest und dem quantitativen Keimträgertest um obligate Tests handelt (ANON. 2015c). Die Prüfverfahren (Phase 2/Stufe 1 und 2) ergeben Gebrauchskonzentrationen und entsprechende Einwirkzeiten. In der VAH-Liste veröffentlicht werden aktuell geprüfte Mittel mit den Wirkspektren Bakterizidie, Tuberkulozidie, Mykobakterizidie, Levurozidie, Fungizidie, begrenzte Viruzidie, Viruzidie, begrenzte Viruszidie PLUS. Zwei Gutachten inklusive Prüfberichte zweier unabhängiger, akkreditierter Laboratorien werden von der VAH-Kommission geprüft und bei hinreichender Wirksamkeit erfolgen die Ausstellung eines VAH-Zertifikates und die Listung des Produktes für drei Jahre (ANON. 2018). Die jährlich aktualisierte VAH-Liste gilt als Standard für die Auswahl von DM für die medizinische und nicht-medizinische Routinedesinfektion. Werden Produkte aus der VAH-Liste den Empfehlungen entsprechend ausgewählt und adäquat angewandt, gilt eine bakterizide Wirkung einschließlich gegenüber MRE gesichert (ANON. 2018). Bei gehäuftem Auftreten bestimmter MRE sollten Untersuchungen mit diesen Isolaten als Testorganismen durchgeführt werden, um sicher zu stellen, dass die gelisteten Konzentrations-Zeit-Relationen auch hier wirksam sind. CHOJECKA et al. (2015) haben vorgeschlagen, die Effizienz aktiver Substanzen generell unter Zuhilfenahme AB-resistenter Standardstämme zu beurteilen.

2.2.3 Minimale Hemmkonzentration 

Unter der MHK versteht man die niedrigste antimikrobielle Konzentration, die in vitro die bakterielle Vermehrung verhindert. Diese sogenannte Bakteriostase ist durch Reversibilität gekennzeichnet, d. h. ein Wachstum ist nach Entfernung des antimikrobiellen Wirkstoffes möglich (STRAUCH und BÖHM 2002, SUERBAUM et al. 2016). Die MHK-Bestimmung wird standardmäßig in der AB-Resistenztestung durchgeführt, aber sie findet auch orientierend Anwendung in der DM-Testung. Vorteilhaft sind die einfache Durchführung und die Möglichkeit der parallelen Testung mehrerer DM und Mikroorganismen (LANGSRUD et al. 2003). Die MHK ist gemäß VAH die niedrigste Konzentration eines DM, welche nach einer Inkubationszeit von 48 h bei 37°C das sichtbare Bakterienwachstum so unterdrückt, dass keine Trübung der Testsuspension entsteht (VAH Methode 7, ANON. 2015c). Im sogenannten Reihenverdünnungstest können Konzentrationen ermittelt werden, die die Ausbildung von Resistenzen vermeiden. Den Testorganismen wird Zeit eingeräumt, sich während der Inkubationszeit an die Anwesenheit des DM anzupassen. Dadurch lässt sich eine Listung unterhalb des MHK-Wertes vermeiden. Nährstoffreiche Testbedingungen in der Bouillon bedingen jedoch eine Einschränkung der Effektivität des zu testenden DM, sodass Bakterien vielfach höhere Konzentrationen überleben (MEYER und COOKSON 2010). Die Bestimmung der MHK eignet sich daher als Screening-Methode und nicht als Grundlage für die Auswahl von Anwendungskonzentrationen (KLEIN 2008, RUSSELL 2003). Die Bestimmung bakterizider DM-Konzentrationen ist notwendig, um   Gebrauchskonzentrationen für die Praxis ableiten zu können. Dabei handelt es sich um solche Konzentrationen, die eine irreversible Abtötung der Bakterien nach sich ziehen (STRAUCH und BÖHM 2002, SUERBAUM et al. 2016). Diese liegen oftmals deutlich unterhalb des MHK-Niveaus. Neben der Bestimmung der MHK stellt die Ermittlung eines geeigneten Neutralisationsmittels für das jeweilige DM einen weiteren Vorversuch einer Wirksamkeitsprüfung dar (STRAUCH und BÖHM 2002). Der Zweck eines Neutralisationsmittels besteht in der Inaktivierung des DM nach Ablauf einer definierten Einwirkzeit. Die Nichttoxizität sowie Effektivität des Neutralisationsmittels müssen nachgewiesen werden (ANON. 2015c). 

2.2.4 Qualitativer Suspensionstest 

VAH Methode 8 (≙ Phase 1) beinhaltet die Exposition von Bakteriensuspensionen gegenüber DM-Lösungen, um Aussagen über die mikrobiziden Eigenschaften des DM treffen zu können. Als bakterizide Konzentration wird diejenige Konzentration bei einer definierten Expositionszeit gewertet, bei der nach Neutralisation und 48 h Inkubationszeit in einem Nährmedium bei 37°C kein Bakterienwachstum sichtbar ist. Dieser Test wird orientierend durchgeführt, kann aber gegebenenfalls arbeitserleichternd für die Bestimmung der wirksamen Konzentrationen im Rahmen der obligaten Prüfungen sein (ANON. 2015c).

2.2.5 Quantitativer Suspensionstest 

VAH Methode 9 (≙ Phase 2/Stufe 1) erlaubt den Vergleich von Bioziden untereinander und den Einfluss von Verschmutzung auf die Inaktivierungskinetik. Das DM wird im VerdünnungsNeutralisationsverfahren mit und ohne organische Belastung (bovines Serumalbumin - BSA) auf seine Wirksamkeit gegenüber den Bakterienstämmen untersucht. Zur Quantifizierung der überlebenden Testkeime wird das Oberflächenspatelverfahren angewendet. Ein DM hat dann nachweislich eine bakterizide Wirkung, wenn bei einer definierten Konzentrations-ZeitRelation eine Reduktion der Ausgangskoloniezahl um fünf log10-Stufen erfolgt (≙ 99,999 % Reduktion, ANON. 2015c). In DM-Lösungen suspendierte Keime stellen Idealverhältnisse dar, wie sie in der Praxis nicht vorliegen. Das Verhältnis zwischen DM und dem zu desinfizierenden Objekt stimmt nicht mit den Anwendungsgegebenheiten überein und somit ist die Relevanz für die Beurteilung des Desinfektionserfolges einschränkt (STRAUCH und BÖHM 2002). Allgemein lassen die Ergebnisse der in vitro-Tests allein nicht auf die Effizienz in der Praxis schließen. Sie liefern jedoch Informationen, welche Konzentrations-Zeit-Relationen in den praxisnahen Tests getestet werden sollten (ANON. 2015c).

2.2.6 Quantitativer Keimträgertest 

Tests zur Simulation einer praxisnahen Prüfsituation (≙ Phase 2/Stufe 2) werden in der VAH Methode 14.1 beschrieben. Die Methode Flächendesinfektion ohne Mechanik simuliert die Literatur 7 Sprühdesinfektion. Nicht-poröse Oberflächen (z. B. Metallplättchen) werden mit Erregern kontaminiert und anschließend für unterschiedliche Einwirkzeiten mit DM überschichtet. Das Biozid hat unter organischer Belastung eine Reduktionsleistung von fünf log10-Stufen zu erbringen (ANON. 2015c). Die Versuche lassen eine bessere Beurteilung der Wirksamkeit zu, da sie deutlicher die Anwendungsart des DM berücksichtigen. Beruhend auf diesen Tests können Anwendungskonzentrationen empfohlen werden.


2.3.5 Pseudomonas aeruginosa 

Diese aeroben Non-Fermenter sind ubiquitär in der Umwelt (Wasser, Boden) als Saprophyten verbreitet. Niedrige Keimzahlen sind aber auch im Darm gesunder Personen zu finden. P. aeruginosa ist ein Opportunist und kann Infektionen bei Menschen und Tieren hervorrufen. Besonders bei hospitalisierten Patienten kommen beatmungsassoziierte Pneumonien, Septikämien und Harnwegsinfektionen vor. P. aeruginosa zählt zu den bedeutendsten Erregern von NI und trägt zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität bei (ANON. 2012, ECDC 2018). Eine vorangegangene AB-Therapie prädisponiert für eine Infektion mit diesem Keim (ANON. 2012). Ausbruchsgeschehen wurden ebenfalls dokumentiert (SANCHEZ-CARILLO et al. 2009, YAPICIOGLU et al. 2012). Infektionsquellen im Krankenhaus stellen zum Beispiel Waschbecken, Beatmungsgeräte und Inhalatoren dar. Eine Übertragung erfolgt über direkten Kontakt, Inhalation oder über unbelebte Oberflächen (ANON. 2012, KRAMER et al. 2006). Biofilmbildung erhöht die Umweltpersistenz und Resistenz gegenüber antimikrobiellen Substanzen, da Biozide z. B. erschwert zu den Bakterienzellen durchdringen können (MCDONNELL und RUSSELL 1999). Eine herabgesetzte Permeabilität der äußeren Membran führt zur intrinsischen Resistenz. Auch erworbene Resistenzmechanismen wurden beschrieben (Effluxpumpen, Metallo-Beta-Lactamasen). Resistenzen gegenüber verschiedenen AB (Carbapeneme, Fluorchinolone, Aminoglykoside, 3. GenerationsCephalosporine) sowie gegenüber Bioziden wie quartären Ammoniumverbindungen sind dokumentiert (ADAIR et al. 1969). Der EARS-Net Report 2017 berichtete, dass 30,8 % der P. aeruginosa-Isolate wenigstens gegen eines der oben genannten AB resistent waren; 18,3 % der getesteten Isolate wiesen eine Multiresistenz auf (EDEC 2018)


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