Erkenntnisse aus dem BMBF-Verbundprojekt „Biofilme in der Trinkwasser-Installation’’ Version 1.1 - mit Glossarium 5 Forschungspartner, 17 Industriepartner Koordination: Prof. Dr. Hans-Curt Flemming
Legionella pneumophila und Pseudomonas aeruginosa können sich in vorhandene Trinkwasser-Biofilme einnisten und in stagnierendes Trinkwasser ausgetragen werden
Werden fakultativ pathogene Bakterien in eine Trinkwasser-Installation eingetragen, so kann es unabhängig von Werkstoffqualität, Werkstoffalter, Wasserbeschaffenheit und Temperatur zur Einnistung dieser Orga- 12 nismen in vorhandene Trinkwasserbiofilme kommen. Die Organismen persistieren dort über Wochen bis Monate in kaltem und erwärmtem Trinkwasser. Unter günstigen Umgebungsbedingungen ist auch eine Vermehrung möglich. Durch die Freisetzung aus den Biofilmen gelangen sie in das Trinkwasser, so dass Biofilme eine Kontaminationsquelle und somit eine potentielle Infektionsquelle darstellen. Zu den fakultativ pathogenen Bakterien von medizinisch-hygienischer Bedeutung, die in der Praxis in Biofilmen der Trinkwasser-Installation nachgewiesen wurden, gehören L. pneumophila und P. aeruginosa. Die Ergebnisse der halbtechnischen Versuchsanlage zeigten, dass sich L. pneumophila im Trinkwasser-Biofilm einnistete, besonders bei erhöhten Temperaturen, unabhängig von der Werkstoffqualität oder der Wasserbeschaffenheit. Eine Vermehrung fand besonders dann statt, wenn Amöben als Wirte für die intrazelluläre Vermehrung zur Verfügung standen, und wenn sehr dichte, aktive (wachsende) Biofilme vorlagen. Unter diesen Bedingungen ist grundsätzlich zu erwarten, dass Legionellen aus dem Biofilm freigesetzt und in das Trinkwasser ausgetragen werden. Die Konzentrationen an L. pneumophila in den Trinkwasserproben (gemäß DIN EN ISO 19458 „Analyse der Wasser-Beschaffenheit an einer Entnahme-Armatur im Haushalt“ (Zweck b)) können bei allen Werkstoffen über dem technischen Maßnahmewert von 100 KBE/100 mL gemäß DVGW-Arbeitsblatt W 551 liegen. Auch in den Biofilmen, die sich im Kaltwasser (12 bis 15 °C) entwickeln, konnte L. pneumophila mit den kulturellen Standarduntersuchungsverfahren (ISO 11731) sporadisch nachgewiesen werden. Die Konzentration von L. pneumophila im Biofilm ist abhängig von der Besiedlungsdichte. Werkstoffe, auf denen sich viel Biofilm bildet und sich viele Amöben entwickeln (z.B. EPDMWerkstoffe ohne Empfehlung nach DVGW-Arbeitsblatt W 270), bieten das Potential für sehr hohe Konzentrationen an L. pneumophila. Hohe L. pneumophila-Konzentrationen im Biofilm führen zu hohen Konzentrationen im stagnierenden Trinkwasser. Die Temperatur spielt für die Vermehrung von L. pneumophila eine entscheidende Rolle. Daher ist darauf zu achten, dass Warmwasseranlagen dem Stand des DVGWArbeitsblattes W 551 entsprechen. Aber auch Kaltwasseranlagen können, wie im Rahmen des Verbundvorhabens durchgeführte experimentelle Untersuchungen sowie die bundesweite Erhebung und Risikoanalyse bestätigt haben, mit L. pneumophila kontaminiert sein und müssen daher bei Sanierungen von L. pneumophila Kontaminationsfällen bei der Gefährdungsanalyse mit berücksichtigt werden.
Auch P. aeruginosa nistet sich in Biofilme auf allen neuen und gealterten Werkstoffen der Trinkwasser-Installation ein und kann das umgebende stagnierende Wasser durch Freisetzung aus den Biofilmen kontaminieren. Die Dauer der Persistenz sowie die Konzentration der kulturell nachweisbaren P. aeruginosa können zwischen den einzelnen Werkstoffen variieren. Eine neue Erkenntnis des Projektes ist, dass L. pneumophila und P. aeruginosa in Biofilmen auf Werkstoffen der Trinkwasser-Installation außer in kultivierbarer Form auch in einem nicht-kultivierbaren Zustand vorliegen können. In diesem als VBNC („viable-but-nonculturable“, siehe Glossar) bezeichneten Zustand sind die Bakterien auf üblichen Nährmedien nicht mehr anzüchtbar, obwohl sie lebensfähig sind. VBNCBakterien lassen sich mit kultivierungsunabhängigen Verfahren nachweisen. Bewährt haben sich Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) unter Verwendung gattungs- bzw. artspezifischer Gensonden und PCRbasierte Methoden. Sowohl auf neuen als auch auf gealterten Werkstoffen war die Konzentration von P. aeruginosa, die mit der FISH-Methode bestimmt wurde, höher als jene, die kulturell bestimmt wurde. Gleiches gilt auch im Fall der Einnistung von L. pneumophila in Trinkwasserbiofilme. Während die Konzentration der kultivierbaren Zielorganismen schwankte, blieb die Konzentration der FISH-positiven Zielorganismen über den untersuchten Zeitraum relativ konstant. Dies lässt den Schluss zu, dass sich ein Teil der Zielorganismen im Biofilm in einem VBNC-Zustand befand. Darüber hinaus deutet es darauf hin, dass sich der physiologische Zustand der Bakterien im Biofilm durch eine Vielzahl komplexer Prozesse ändern kann. Dazu gehört die Wechselwirkung mit anderen Bakterien und Protozoen, die Änderung der Temperatur oder des Nährstoffgehalts. Daraus wiederum würden sich schwankende Befunde bei mikrobiologischen Routine- und Kontrolluntersuchungen von TrinkwasserInstallationen schlüssig erklären.
13. Eine wirksame Reinigung ist die Voraussetzung für den Erfolg von Desinfektionsmaßnahmen Reinigen bedeutet, Verunreinigungen, Ablagerungen und andere unerwünschte Substanzen aus der Trinkwasser-Installation zu entfernen. Dadurch lässt sich einerseits die geplante Hydraulik der Rohrleitungen wiederherstellen, andererseits die Trinkwasserqualität während des Transportes durch die Rohrleitung sicher stellen. Verunreinigungen enthalten Substanzen, die Trinkwasserqualität direkt beeinträchtigen, aber auch zur Vermehrung von Mikroorganismen auf benetzten Ober- 18 flächen und damit auch zur Kontamination des Wassers mit Mikroorganismen führen können. Alle lockeren Ablagerungen sind bei der Reinigung zu entfernen. Sie dürfen sich auf keinen Fall an anderer Stelle wieder ablagern und dadurch erneut zu Beeinträchtigungen des Trinkwassers führen. Fest anhaftende, anorganische Beläge können als Deckschichten korrosionshemmende Eigenschaften aufweisen, sind andererseits aber kritisch zu betrachten, wenn ihre Rauhigkeit die Ansiedlung von Mikroorganismen begünstigt. Das Entfernen von Ablagerungen reduziert die Einnistungsmöglichkeit von Mikroorganismen und optimiert den Betriebszustand der Trinkwasser-Installation.
14. Desinfektion ist nicht gleichbedeutend mit Reinigung Vielfach wird implizit von der Annahme ausgegangen, dass eine Desinfektionsmaßnahme auch eine Entfernung der Biomasse bewirkt. Im Verbundprojekt wurde dies anhand eines Biofilm-Modells überprüft, das auf der Ansiedlung und Vermehrung von Mikroorganismen in Silikonschläuchen beruht. Diese Schläuche begünstigen durch Abgabe von Nährstoffen (Additive des Silikons) die Biofilm-Entwicklung stark und eignen sich daher als Testsystem für die Desinfektion und Beseitigung von Biofilmen. Es handelt sich hier um eine „worst case“-Situation, denn in diesem System sind die Biofilme besonders schwer zu beseitigen – Mittel und Verfahren, die den Biofilm im Biofilm-Modell bekämpfen, werden es mit großer Wahrscheinlichkeit auch unter ungünstigen PraxisBedingungen tun. Es wurde gezeigt, dass Desinfektionsmittel, die in den Konzentrationen eingesetzt wurden, welche nach § 11 TrinkwV 2001 zur Desinfektion zugelassen sind, erst nach einem Behandlungszeitraum von mindestens 70 Tagen zu einer Abnahme der Koloniezahlen bis zur Nachweisgrenze führten, wobei jedoch die Abnahme der Gesamtzellzahlen nur gering war. Erheblich höhere Konzentrationen können bei notwendiger Sanierung eingesetzt werden, um eine Anlagen-Desinfektion durchzuführen. Hier kamen Chlor, Chlordioxid sowie Wasserstoffperoxid in Kombination mit Silberionen oder Fruchtsäuren zum Einsatz. Diese Maßnahmen führten abhängig von der Art der Wirkstoffe ebenfalls zu Abnahme der Koloniezahlen bis zur Nachweisgrenze. Die Verringerung der Gesamtzellzahl bis zur Nachweisgrenze konnte jedoch nur vereinzelt (z.B. durch 25 mg/L freies Chlor oder 0,1 mg/L Ozon sowie 10 % Wasserstoffperoxid + Fruchtsäuren + Tenside) erreicht werden. Soll eine nachhaltige Wirksamkeit erzielt werden, ist eine vorherige Reinigung der Systeme – z.B. mit dem Impulsspülverfahren – zu empfehlen. Der Biofilm-Monitor – eine transportable Variante des Biofilm-Modells - wird inzwischen als Bypass-Gerät in Trinkwasser-Installationen genutzt und erlaubt eine realistische Überprüfung von Sanierungsmaßnahmen. Er wird auch als Bestandteil eines 3-Phasen-Prozesses bei der Überprüfung der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln eingesetzt.
15. Desinfektionen können die Populationen verändern und schnellwüchsige Bakterien begünstigen Die langfristige Wirkung von Desinfektionsmitteln auf Biofilmpopulationen wurde in verschiedenen Ansätzen untersucht. Es zeigte sich, dass immer sofort nach Absetzen des Desinfektionsmittels eine Regeneration des Biofilms erfolgt: Entweder durch Erholung und Wachstum der noch vorhandenen Bakterien, oder durch Neubesiedlung aus dem Wasser. Die Biofilmpopulationen, die sich nach Absetzen neu etabliert hatten, unterschieden sich in Bezug auf Zusammensetzung und Diversität von den ursprünglichen Populationen. In Abhängigkeit der Zusammensetzung und Konzentration des Desinfektionsmittels entstanden ein Selektionsdruck und eine Populationsverschiebung in den Biofilmen. Die Population war nach der Desinfektion deutlich verändert, was darauf zurückgeführt wird, dass abgetötete Biofilme nicht entfernt wurden und neu wachsenden Bakterien als leicht verwertbare Nährstoffquelle dienten. Damit besteht das Risiko, dass sich als Folge einer Desinfektion schnellwüchsige und daher oft hygienisch relevante Bakterien entwickeln.
16. P. aeruginosa und L. pneumophila können Reinigung und Desinfektion überleben Ein kontaminiertes Trinkwassersystem nachhaltig von Krankheitserregern zu befreien, ist nur mit sehr hohem Aufwand zu erreichen. Bildet sich ein kompakter Biofilm auf einem Werkstoff aus, können die fakultativ pathogenen Bakterien im Biofilm eine Kombination aus Reinigung und chemischer Anlagen-Desinfektion selbst mit hohen ChlordioxidKonzentrationen überleben. Überlebende fakultativ pathogene Bakterien können sich in den Biofilmen wieder vermehren und erneut das Trinkwassersystem kontaminieren. Der Nachweis dieser überlebenden Zellen ist, wie schon erwähnt, von der Untersuchungsmethode abhängig. Werkstoffe, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen (KTW-Leitlinie UBA, 2008, DVGW-Arbeitsblatt W 270), verhindern zwar keine Kontamination der Biofilme mit fakultativ pathogenen Bakterien, bieten jedoch im Fall einer Kontamination aufgrund der nur dünnen Biofilme gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Reinigung und Desinfektion.
17. Desinfektionsverfahren beeinflussen die Übergänge zwischen kultivierbaren und VBNC-Stadien von L. pneumophila und P. aeruginosa Selbst wenn L. pneumophila auf den Werkstoffen direkt nach der chemischen Desinfektion kulturell nicht mehr nachweisbar war, konnten diese Bakterien mehrere Wochen nach der Desinfektion (z.B. Chlordioxid) mit den kulturellen Standardmethoden im Biofilm und in stagnierendem Wasser des Versuchssystems wieder aufgefunden werden. Bei den Werkstoffen handelte es sich um Kupfer, HD-PEXb, EPDM mit und ohne Empfehlung nach DVGW-Arbeitsblatt W 270. In diesen Fällen konnte mit der FISH-Methode bestätigt werden, dass noch L. pneumophila im Biofilm vorhanden war. Dies führte zu der Vermutung, dass L. pneumophila durch die Desinfektion in den VBNC-Zustand übergeht und später wieder kultivierbar werden kann. P. aeruginosa war ebenfalls nach der Desinfektion auf allen Werkstoffen mit der kultivierungsunabhängigen FISH-Methode nachweisbar, obwohl mit den kulturellen Standardverfahren kein Nachweis erfolgte. P. aeruginosa konnte sogar nach der Desinfektion kulturell im stagnierenden 21 Wasser und im Biofilm nachgewiesen werden, obwohl dieser Organismus bis zu mehrere Monate lang vor der Desinfektion mit den kulturellen Standardmethoden nicht nachweisbar war. Fakultativ pathogene Bakterien, die sich in Biofilmen im VBNC-Stadium befinden, können offenbar zu erneuten positiven Befunden im stagnierenden Trinkwasser führen, wenn sie in den vegetativen Zustand zurückgekehrt sind.
Hinweis:
Desinfektion Desinfektion ist ein Prozess, durch den die Anzahl vermehrungsfähiger Mikroorganismen infolge Abtötung/Inaktivierung unter Angabe eines standardisierten, quantifizierbaren Wirkungsnachweises reduziert wird mit dem Ziel, einen Gegenstand/Bereich/Medium in einen Zustand zu versetzen, dass von ihm keine Infektionsgefährdung mehr ausgehen kann. Ziel der Desinfektion ist die definierte Verminderung der Anzahl pathogener oder fakultativ-pathogener Mikroorganismen, nicht aber die Eliminierung von Umweltkeimen ohne Bedeutung für die menschliche Gesundheit.
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